IM LAND DER KLUGEN KÖPFE

Zukunftsland Sachsen-Anhalt

IM LAND DER KLUGEN KÖPFE

Offenbar waren Menschen hierzulande schon um 6.900 v.Chr. ziemlich neugierig. Für einen Blick in die Zukunft bauten sie sich bei Goseck einen kreisförmigen Palisadenring. Den nennen wir heute Sonnenobservatorium. Sommer- und Wintersonnenwende werden hier auf einfache Weise angezeigt. Das schien den frühen Bauern der Gegend wichtig zu sein, denn daraus konnten sie Rückschlüsse für ihre Feldarbeit, für die Erträge der Zukunft ziehen. Die Gosecker Ringkonstrukteure dürften zu den frühesten Kreativen gehören, in einem Landstrich, der heute zu Sachsen-Anhalt gehört. Gut 7.000 Jahre später würde man sie wohl in die Kategorie Start-up eintüten, Mutige, die etwas beginnen, von dem nicht immer klar ist, was in Zukunft daraus wird.

Irgendwann ist immer Zukunft. Sie zieht zu allen Zeiten Menschen magisch an. Sie lässt träumen, schürt Ängste, macht Mut und Hoffnung. Sie bringt auch Visionen hervor, die schaudern lassen wie George Orwells Roman ,,1984". Robert Jungk, der als einer der ersten Zukunftsforscher gilt, hat das Zukünftige 1952 so beschrieben: ,,Das Morgen ist schon im Heute vorhanden, aber es maskiert sich noch als harmlos, es tarnt und entlarvt sich hinter dem Gewohnten. Die Zukunft ist keine sauber von der jeweiligen Gegenwart abgelöste Utopie: die Zukunft hat schon begonnen. Aber noch kann sie, wenn rechtzeitig erkannt, verändert werden."

Sachsen-Anhalt ist unterwegs in die Zukunft, ist beim Verändern. Macht Fehler, korrigiert sie und sammelt Erfolge, die bislang unerfüllte Zukunftswünsche Wirklichkeit werden lassen könnten. Dabei geht es manchmal zu wie auf der Gosecker Observatoriums-Baustelle: Man wird den Palisadenring auch nicht in einem Ruck ausgetüftelt und gebaut haben.

Vor der Zukunft sind zu allen Zeiten hohe Hürden aufgebaut. Naturgesetze etwa lassen sich nicht so ohne weiteres ausnutzen. Mit dem Magdeburger Wissenschaftshafen und dem Halleschen Wissenschaftscampus Weinberg sind ganz neuartige Arbeitsmöglichkeiten für Zukunftsmacher entstanden. Wasserstoff als grüner Energiespender ist ein sperriges Ding. Viele kluge Köpfe im Land beißen sich daran die Zähne aus, dass emissionsfreie Zukunft möglich wird. Die rückt immer näher. Von der haben kleine Mittelständler eigene Vorstellungen. Abseits des aktuellen Kampfes mit Preisen und Problemen haben sie begonnen, die Digitalisierung als Zukunftstreiber für sich nutzbar zu machen, in der Tischlerei, im Sägewerk, in der Altenpflege. Manchmal staunen wir, ärgern uns. Denn Bürokratie kann auf Zukunftswegen Ideenhaber und Ideenumsetzer reizen. Unddann ist da noch die Demokratie. Die vielfach bewährte Debattenkultur und Debattengründlichkeit der Deutschen beschleunigt nicht immer, dass aus Visionen handfeste Zukunft wird. 

Die Gegenwart hat es derzeit schwer mit der Zukunft. Noch nie zuvor in den letzten sieben Jahrzehnten war der Begriff Zukunft so belastet mit Problemen und Ängsten. Es geht um existenzielle Zukunftsfragen. Dabei die Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren, ist in allen Bereichen der Gesellschaft eine gewaltige Herausforderung. Beim Blick in die Zukunft lohnt der Blick in die Vergangenheit unseres Landes. Die Gegend, die heute Sachsen-Anhalt heißt, war immer schon ein Land der Vordenker und Ausdenker von Dingen, die es nie zuvor gab. Hier wurde der Farbfilm erfunden. Hier wurde das erste Ganzmetallflugzeug der Welt erdacht. Hier faszinierte das Bauhaus mit seinen Visionen. Hier wurde erstmals in der Welt Ammoniak industriell hergestellt. Hier erfand Friedrich Heinrich August Mundlos die Schnellnäh-Zickzack-Maschine. Auch von diesen Zukunftsmachern ist hier zu lesen.

In 50 Jahren wird medialer Konsum von digitalen Angeboten dominiert sein. Die Mitteldeutsche Zeitung und die Volksstimme wird es in der heutigen Form schon lange nicht mehr geben. Unsere digitalen Kollegen von übermorgen nutzen dann im Netz Formen von Kommunikation und Information, die wir uns heute nicht vorstellen können.

In diesem Magazin schauen wir vom Hochsitz der Gegenwart in die Zukunft Sachsen-Anhalts, ganz traditionell noch, aber schon mit digitalen Angeboten auf vielen Seiten und im Netz. Sie sind, liebe Leserinnen und Leser, herzlich eingeladen zu einem Streifzug durch das Land der klugen Köpfe. 

Du hast den Farbfilm vergessen


Ja, Michael, du hast den Farbfilm vergessen. Das war keine gute Idee, wie wir alle wissen, seit Nina Hagen 1974 ihren Ärger darüber besungen hat. Mutmaßlich dürfte es ein ORWO-Farbfilm gewesen sein. Den kaufte der DDR-Urlauber meist, bevor er sich zur Ostsee aufmachte, um dort alles ,,in Blau und Weiß und Grün" festzuhalten. Die Farbfilm-Melodie kann noch heute jeder altgewordene Ostmensch mitsummen. Den ersten - darauf legen Fachleute wert - „praktikablen Mehrschichtfarbfilm" der Welt entwickelten 1936 in Wolfen die Chemiker Gustav Wilmanns, Wilhelm Schneider und John Eggert. ,,Agfacolor Neu" nannte sich der Erstling, der in der 1906 gegründeten Filmfabrik Wolfen hergestellt wurde. 

1941 kam Farbe in die deutschen Kinos: Der erste Farbfilm hieß ,,Frauen sind doch bessere Diplomaten". Das Markenlogo ,,Agfacolor" prägte sich fortan ins Gedächtnis ganzer Kinogängergenerationen ein. 1953 wurde Agfa im Osten zum Volkseigenen Betrieb gemacht, hieß nun VEB Film- und Chemiefaserwerk Wolfen. Nach jahrelangem Streit um Agfa-Patent-  und Namensrechte wurde daraus der Filmfabrik ORWO. Bis 1995. Da entschwindet der Wolfener Farbfilm in die Geschichte. Falls Micha aber an ORWO hängt - den Farbfilm-Namen gibt es noch. In Wolfen können Menschen ihre Fotobücher und Fotos drucken lassen und hernach vorzeigen, ,,wie schön's hier war, haha, haha". Oder losträllern: Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael... 

Herz-OP mit Marke Eigenbau


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Natürlich, der Westen hat solche Technik, damals Anfang der 60er-Jahre. Dort operieren Chirurgen an stillstehenden Herzen. DDR-Kliniken, die das wollen, müssen die dafür nötige Technik im Westen einkaufen, darf nicht jeder. In Leipzig geht das, die Uni Halle ist dafür nicht auserkoren. Das Westgeld ist knapp. Karl-Ludwig Schober lässt das keine Ruhe. Wie das geht, weiß er, kennt die Fachliteratur, hört sich um auf Kongressen. Allein: Ohne Herz-Lungen-Maschine wird das nichts. Der renommierte Herzspezialist hat eine verrückte Idee: Wir bauen uns das Ding selbst. Schober sucht Verbündete, elektrisiert Kollegen, guckt, wie er Material beschaffen kann, das es in der DDR eigentlich nicht gibt. Das Team macht sich im Stillen ans Werk. Viel Skepsis bleibt. Woher die Hochleistungsbauteile nehmen, die man für Ostgeld nicht bekommt, wer konstruiert und baut so etwas? Professor Schober reist mit halleschen Spezialisten nach Westberlin zu Kollegen, die ihm die OP zeigen, erklären, wie die Maschine läuft. Budapester Kollegen helfen, westdeutsche Chirurgen schleusen Material in den Osten. Dann ist es geschafft. Am 3. April 1962 hat die erste in der DDR gebaute Herz-Lungen-Maschine (Foto oben) an der Uni Halle Premiere. Der erster Patient ist elf. Er hat ein Loch im Herzen, Lebenserwartung höchstens 20 Jahre. Schobers OP mit der eigenen Maschine wird ein voller Erfolg. Anfangs muss sich das Gerät wohl zickig angestellt haben, denn die Mediziner nennen es liebvoll ,,Diva". 

Der allererste Wagen


Da lagen wir alle mal drin, im Kinderwagen. Mein Modell war aus weißem Korbgeflecht und wirkte wie tiefer gelegt mit seinen kleine Rädern. Unpraktisch für meine Mutter, die sich ganz tief hinab beugen musste, wenn ich schrie. Meine Töchter fuhren dann Zekiwa, der Enkel Maxi Cosi. Dass wir allesamt entspannt durch unser beginnendes Leben rollen konnten, verdanken wir dem Zeitzer Ernst Albert Naether (1825-1894), ein Stellmacher, der Kutschen, Wagen und Schlitten baute. Könnte man nicht auch kleine Kinder fahren? Er tüftelte - und raus kam der Kinderziehwagen. Das mit dem Schieben folgt erst später. Naether zog 1852 damit zur Leipziger Messe, verkaufte wie verrückt und machte daraufhin eine Art Start-up auf, ließ das mit Kutschen und Wagen. Von da an baute er nur noch ,, Reform-Kinderwagen". Im Katalog der Firma Naether (Foto: Fabrikgelände) von 1896 sind 100 Modelle drin, sechssprachig angepriesen. Naether folgten Nachahmer. Bald ist Zeitz die Stadt mit der größten Kinderwagenproduktionsdichte. Nach 1946 geht es der Firma an den Kragen, aus Naether wird Zekiwa. Die sozialistischen Nachfahren haben ein gutes Händchen fürs Geschäft und betreiben bald Europas größte Kinderwagenfabrik - eine sprudelnde Westgeldquelle. Ab 1990 war es wie überall, kaum was blieb vom großen Namen. Nun ist Strukturwandel angesagt. Ein EU-Projekt soll dem Areal von Naether und Zekiwa neues Leben einhauchen, wie auf Seite 18 zu lesen ist.

Als in Dessau Metall fliegen lernte


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Wahrscheinlich war Friedrich von Mallinckrodt am 12. Dezember 1915 froh, als er die J1 nach nur zwei Minuten Flug halbwegs sicher landete. Der junge Leutnant hatte in Döberitz bei Berlin gerade den Jungfernflug mit der J1 absolviert, dem ersten Ganzmetallflugzeug der Welt, entworfen vom Dessauer Unternehmer und Konstrukteur Hugo Junkers (1858-1935). Das Flugzeug war aus 0,2 Millimeter starken Stahlblechen zusammengeschweißt und wog mehr als eine Tonne. Damals eine Sensation, denn nie zuvor war ein derart schweres Flugzeug abgehoben. Gut acht Meter lang war die J1, Spannweite 13 Meter, 170 km/h Spitzentempo. Ein Sechszylinder-Reihenmotor von Daimler lieferte 120 PS. Für Hugo Junkers war das der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die 1885 mit der Gründung seines Unternehmens in der Muldestadt begonnen hatte und in dem anfangs noch keine Flugzeuge produziert wurden. In Dessau sorgte er 1896 für eine weniger bekannte Weltpremiere: Er erfand den Gasbadeofen. Einige der ersten Exemplare sind in Dessau im Technik-Museum Hugo Junkers zu sehen. Hier steht auch eine J1, die ein Verein in jahrelanger Arbeit und mit Spendengeldern nachgebaut hat (Foto oben). Ein Original gibt es nicht mehr. Das letzte wurde 1944 in München durch Kriegsbomben zerstört. Direkt neben der J1 wartet dort auch Junkers bekanntestes Flugzeug, die Ju 52 auf Besucher. Mehr: www.technik-museum-dessau.org 

Zückersüße Erfindung


Die Zuckerbarone in der Magdeburger Börde müssen es als Provokation empfunden haben, als Constantin Fahlberg 1887 in Magdeburg eine Fabrik baute, die Zucker produzierte, noch dazu künstlichen Zucker. Fahlberg (1850 - 1910, Foto) hat den 1878 von ihm entdeckten Süßstoff Saccharin genannt. Er stieß zufällig bei Laborarbeiten an der Johns Hopkins Universität (USA) darauf, als er in einer Pause beim Essen einen extrem süßen Geschmack an seinen Fingern bemerkte. Fahlberg ging der Sache nach und fand heraus, dass die starke Süße von der chemischen Substanz Benzoesäuresulfimid ausging, mit der er gerade arbeitete. Er erkannte das Potenzial seiner Entdeckung und wurde zum Unternehmer. Gemeinsam mit seinem Cousin Adolf Moritz List baute er in Magdeburg die erste Saccharin-Fabrik der Welt. Saccharin begann sich schnell als preisgünstige Alternative gegenüber Zucker durchzusetzen. Die erheblich größere Süßungskraft führte aber zu einem deutlichen Preisvorteil gegenüber Zucker. Deshalb wurde zum Schutz der Zuckerindustrie 1902 in Deutschland vorübergehend bis zum Ersten Weltkrieg ein Saccharinverbot erlassen, nur Diabetiker und Apotheken wurden versorgt. Als Chemieunternehmen Fahlberg-List gehörte die Firma jahrzehntelang, bis hinein in die DDR-Zeit, zu den führenden Chemie- und Pharmazieunternehmen der Region. Nach 1989 wurde die Pharmasparte verkauft, die Chemieproduktion endete ab 1995.

Schalen-Müllers geniale Idee


Das Ding auf dem halleschen Markt hatte 1964 seinen Namen bald weg: Schmetterling. Wie seine Flügel spannten sich die gewölbten schmalen Betonschalen über einen großen Unterstand für Straßenbahnfahrgäste (Foto rechts) Der Mann, der dieses neuartige Bauelement erfunden hatte, hieß Herbert Müller (1920-1995), Architekt und Bauingenieur. Schalen-Müller, wie er auch gern genannt wurde. Als HP-Schalen (abgeleitet von hyperbolische Paraboloidschale) prägten sie Bauwerke in der ganzen DDR, weil sie sich so vielseitig verwenden ließen und vergleichsweise preiswert herzustellen waren - ideal für die anspruchsvollen Baupläne in einer Mangelwirtschaft. Die Konstruktion (Beton außen, gekrümmte Stahlstäbe innen) machte die Bauteile mit wenig Materialeinsatz enorm knick- und biegefest, hoch belastbar. In den großen DDR-Neubaugebieten wurden sie massenhaft verbaut, auch weil sie vergleichsweise einfach zu montieren waren. Sie konnten waagerecht Dächer bilden, senkrecht Gebäudemauern ersetzen und in vielerlei Formen und Größen verarbeitet werden. Ganz Sachsen-Anhalt ist überzogen mit Müllers Schalen. Für einen Architekten muss es ein Traum sein, wenn eine relativ einfache Konstruktion Stadtlandschaft so mit prägt. Millionen Schulkinder machen bis heute Sport in Hallen aus Müller-Schalen. Im Panorama Bad Frankenhausen sind die gewölbten Schalen zu einem kreisrunden Bauwerk geformt. Sie formten das abgerissene Planetarium in Halle.

Die Faszination des Schnörkellosen


Wer unterwegs ist in der Welt, wird sich manchmal verdutzt die Augen reiben: Sieht das hier nicht wie Bauhaus aus? Rotterdam, Chicago, New York, Valencia, Berlin - überall trifft man Bauhaus-Fassaden. In Tel Aviv kann man durch ein ganzes Bauhaus-Viertel schlendern, die Weiße Stadt. Kunst und Architektur der Moderne fanden von Dessau aus den Weg in die Welt. Schnörkellos, geradlinig, reduziert auf Weniges, provozierend mitunter. In den 1920er-Jahren eine ästhetische Revolution. Walter Gropius begann 1925 das Bauhaus in Dessau zu einer beispiellosen Stätte der Kreativität zu entwickeln. Hier versammelten sich künstlerische Querdenker, Namen, die in die Kunstgeschichte eingingen. Mies van der Rohe, Hannes Meyer, Oskar Schlemmer, Wassili Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger. 1932 war Schluss - die Nazis hassten die avantgardistische Formsprache und das neue Nachdenken über die Gesellschaft. Die DDR nahm sich erst spät des Bauhausgedankens an - als man merkte, dass das ein Hauch Weltoffenheit bringen könnte. Im Bauhaus-Museum, im Bauhaus-Gebäude und in den Meisterhäusern ist heute erlebbar, welche einzigartige Idee von hier ausging. Wer darüber mal in Ruhe nachdenken will, kann sich ein Zimmer im Ateliergebäude hinterm Bauhaus nehmen. Möbliert und gemalert wie in den 20ern, sehr schlicht, sehr spartanisch. Aber man schläft mitten in der Kunstgeschichte. Mehr auf www.bauhaus-dessau.de

Ottos starke Kugeln


Ohne seine beiden Kugeln wäre Otto von Guericke wohl nie so berühmt geworden. Als Bürgermeister Magdeburgs, als Diplomat beim Westfälischen Frieden soll er einen guten Job gemacht haben. Aber fragt wer nach Guericke, hört er meist das mit den Pferden und der Kugel. Denn der Physiker hatte es mit der Luft und dem Vakuum, forschte jahrelang dazu, erfand die Kolbenvakuumluftpumpe und die Luftwaage. Was die können? Für schnelle Aufklärung sorgt Dr. Google. Aber sein Kugel-Experiment stellte alles in den Schatten. Seine öffentlichen Experimente mit dem Vakuum waren Events im Dienste der Physik. 1656 konnten die Magdeburger erstmals öffentlich die Kugel-und-Pferdeshow bestaunen. Guericke machte es wie immer. Er legte zwei Halbkugelschalen aus Kupfer (mit etwa 42 cm Durchmesser) so aneinander, dass sie eine Kugel bildeten, dichtete sie ab mit in Wachs und Terpentin getränktem Leder. Dann pumpte er die Luft raus, ein Vakuum entsteht. Der äußere Luftdruck drückt die Kugelhälften so zusammen, dass selbst 30 PS sie nicht trennen können, wie 1654 auf dem Reichstag in Regensburg demonstriert. Guericke begründete die Lehre von der Vakuumtechnik, bewies die Macht von Vakuum und Luftdruck. Ein Rätsel ist ungelöst. Niemand weiß, wo seine Gebeine liegen. 1686 starb er in Hamburg, danach wurde sein Leichnam in der Magdeburger Johanniskirche beigesetzt. Seither verlieren sich die Spuren des Magdeburger Kugel-Mannes.

Leunaer Ammoniak war Fluch und Segen


Zu Ammoniak habe ich ein ganz persönliches Verhältnis. Als ich 1970 meine Lehre in Leuna begann, mussten wir oft in zehn Meter hohen, engen, dunklen Kammern an Eisenleitern hochklettern. Dort drin stellten riesige Reaktoren Ammoniak her. Alle paar Meter musste ich Thermometer ein- oder ausbauen, was der Stift eben so macht. Oft stank es erbärmlich nach Ammoniak, was gefährlich werden kann, weshalb die Gasmaske am Mann war. Ich hatte dort immer Angst, auch weil ich wusste, dass die Maschine neben mir mit 350 bar unter Druck stand. Was in den Reaktoren ablief, hatten sich die Chemiker Carl Bosch und Fritz Haber ausgedacht. Das geht so: Stickstoff plus Wasserstoff plus Katalysatoren ergeben Ammoniak. Dafür bekam Fritz Haber 1918 den Chemie-Nobelpreis. Das war eine der epochalsten und zugleich verheerendsten Entdeckungen. Millionen Menschen starben durch Sprengstoffe, für die Ammoniak aus Leuna Ausgangspunkt war. Am 27. April 1917 ging es dort los. Weltweit erstmalig wurde in Leuna Ammoniak großtechnisch hergestellt. Der Kriegsbedarf war gewaltig. Danach wurde Ammoniak die Basis für Düngemittel. Nach den Weltkriegsbomben war 1945 kaum etwas übrig von Leuna. Unweit der Ammoniak-Anlage prangte jahrzehntelang ein weißer Schriftzug: "45.000 angloamerikanische Bomben haben unser Werk zerstört. Wir bauten es wieder auf", auch die alte Haber-Bosch-Anlage. In den 90ern wurde sie für immer platt gemacht. 


HANS-ULRICH KÖHLER