Wie Zeitz doch noch zum Bauhaus kommt: Neues Projektbüro fürs Europäische Bauhaus

Der Zeitzer Oberbürgermeister Christian Thieme (links) und der Leiter des Projektbüros Martin Steín arbeiten am Bauhaus-Projekt. FOTOS: ANDREAS STEDTLER, LANDESINITIATIVE FACHKRÄFTE IM FOCUS, DPA, STADTARCHIV ZEITZ

Zukunftsland Sachsen-Anhalt

Wie Zeitz doch noch zum Bauhaus kommt: Neues Projektbüro fürs Europäische Bauhaus

Strukturwandel: Die Stadt im Revier braucht Fördermittel, vor allem aber neue Ideen.

Bauhaus in Zeitz? Nein, echte Bauhaus-Architektur, wie sie ausgehend von der Schule für Architektur und angewandte Kunst, die nach dem Ersten Weltkrieg 1919 in Weimar vom Architekten, Designer und Stadtplaner Walter Gropius gegründet wurde, entstand, hat Zeitz nicht. Doch in Zukunft wird der Bauhaus- Gedanke in der Stadt im äußersten Süden des Burgenlandkreises eine große Rolle spielen. Denn Zeitz beteiligt sich am Vorhaben, Ein neues Europäisches Bauhaus – Das Sachsen-Anhalt-Projekt“.

Der Kohleausstieg steht an, der Strukturwandel fordert die Stadt. Denn „Das Revier ist hier!“ ist in Zeitz nicht nur eine Kampfansage für Fördermittel, sondern Ausdruck eines Selbstverständnisses in einer Region, die mit dem Kohleabbau und den Tagebaulandschaften lebt. Doch nun geht es um die Zukunft: Neue Ideen müssen her. Eine dieser Ideen fußt auf der Bauhaus-Tradition. „Unter Federführung der Staatskanzlei ist das Netzwerk als Sachsen- Anhalt-Projekt ins Leben gerufen worden“, sagt Christian Thieme (CDU), der Zeitzer Oberbürgermeister. „Zum Netzwerk gehören zum Beispiel auch die Stiftung Bauhaus Dessau, die Hochschule Anhalt, die Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg, das Kompetenzzentrum Stadtumbau oder die Fraunhofer-Allianz Bau.“

Große Vergangenheit in der Kinderwagenproduktion

So sah das Zekiwa-Gebäude nach der Schließung 1990 aus (unten).
So sah das Zekiwa-Gebäude nach der Schließung 1990 aus (unten).

Konkret ist es erklärtes Ziel der Stadt Zeitz, mit Hilfe des Sachsen-Anhalt- Projektes für das Neue Europäische Bauhaus (NEB) einen sogenannten Re-Use-Prozess für das ehemalige Zekiwa-Areal in Gang zu setzen. Re- Use bedeutet nichts anderes als Wiederverwendung oder Wiederverwertung. Die findet nämlich nicht nur bei Müll, in der Kreislaufwirtschaft und bei verbauten Rohstoffen statt. Vielmehr geht es hier um Baukultur, um die Wiederverwendung von Bauten und Bauteilen und eine zukunftsträchtige, ökologisch sinnvolle und möglichst klimaneutrale Nutzung. „Allerdings ist das Areal mehr als ein Plangebiet, für das ein städtebauliches Konzept für ein neuartig organisiertes Quartier entwickelt werden soll“, erklärt Thieme. Er sieht mehrere Entwicklungsstufen: So könnte das Areal zunächst eher als eine „Versuchsstätte“ gesehen werden, in der „Studierende, Handwerker, Unternehmer, Bewohner, Gestalter und Architekten gemeinsam Modelle für neue Ko-Kreationen erproben“. Und wo letztendlich untersucht wird, wie unterschiedliche Ansätze für eine Quartierentwicklung passen. Denn die kreativen Bauhaus-Ideen und ihre mögliche Umsetzung beziehen sich – in einem nächsten Schritt – nicht nur auf das ehemalige Industrieareal, sondern auf den gesamten Bereich in der Badstubenvorstadt.

In jenem Stadtteil stand einst ein mächtiger Produktionskomplex: Rund 90 Jahre lang wurden hier Kinderwagen produziert. Der „Urvater der Kinderwagenindustrie in Zeitz“ Ernst Albert Naether erbaute hier seine Kinderwagenfabrik. Der Volkseigene Betrieb (VEB) Zekiwa ging 1946 aus diesem, zwischenzeitlich enteigneten, Unternehmen hervor.

Kinderwagenproduktion in Zeitz zu DDR-Zeiten

Zu DDR-Zeiten wurde hier nicht nur für den gesamten Ostblock, sondern auch für westdeutsche Unternehmen wie Neckermann produziert. Zekiwa wurde so zur größten Kinderwagenfabrik Europas. In ihrer Hochzeit fertigte sie mit 2.200 Mitarbeitern jährlich 450.000 Kinder- und 160.000 Puppenwagen. Nach der Wende brachen die Absatzmärkte weg, das Werk wurde geschlossen. Übrig blieben vom Altwerk, das die Treuhand verwaltete, lediglich zwei Fabriktrakte: das stadtbildprägende fünfgeschossige Werksgebäude mit einstiger Schmiede von 1908 und der Verwaltungsbau von 1909. Kein Bauhaus- Glanz, aber hochrangige Industriedenkmale mit großer Vergangenheit, dem Verfall preisgegeben. Nun werden sie eine Zukunft haben: Nach dem die Stadt die Immobilie gekauft hat, laufen derzeit noch die Arbeiten für den neuen Standort des Zeitzer Stadtarchivs. In zwei Gebäudeteilen werden dafür 5.000 Quadratmeter Grundfläche saniert.

Projektbüro Stadt der Zukunft ist einer der Macher

Doch es soll weitergehen, und daran arbeitet das Projektbüro Stadt der Zukunft Zeitz ganz konkret im Auftrag der Stadt. So fanden im März bereits Workshops für Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner, Projektentwickler sowie für Vertreter aus Wirtschaft und Verwaltung der Stadt Zeitz statt, die das Projektbüro gemeinsam mit dem Fraunhofer- Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie durchführte, wie der Leiter des Projektbüros Martin Stein berichtet. „Daran knüpfen Überlegungen für ein ,Reallabor’ zum Neuen Europäischen Bauhaus an“, so Stein. Darauf haben sich die Mitglieder im Projekt- Konsortium bei ihrem jüngsten Treffen im November geeinigt. Im Januar 2023 wird es ein Treffen zur Entwicklung eines gemeinsamen Förderantrags geben.

"Es bietet die Voraussetzung, ein ganzes Quartier neu zu gestalten."
Christian Thieme, Zeitzer Oberbürgermeister

Mit den Vertretern der Stabsstelle in der Staatskanzlei und des Ministeriums für Umwelt, Wissenschaft, Energie sei das Projektbüro in die Vorbereitungen zur Beantragung von europäischen Fördermitteln aus dem Just Transition Fund (JTF) eingebunden. Ziel sei eine hundertprozentige Förderung der Altlastensanierung am ehemaligen Zekiwa- Standort. Insgesamt sind 38 Millionen Euro aus dem Just Transition Fund (Fonds für einen gerechten Übergang) für kommunale Projekte in den sachsen-anhaltischen Strukturwandelregionen geplant. Der Fonds soll den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen und Menschen dabei helfen, die Auswirkungen der Transformation zur Klimaneutralität zu bewältigen. Doch was soll das Bauhaus-Projekt konkret bewirken?

Strukturwandel wird positive Folgen haben

Wie sieht der Zeitzer Oberbürgermeister das Areal rund um Zekiwa in zehn Jahren? „Das Gelände befindet sich zwischen Bahnhof und Innenstadt und ist mit der kommenden S-Bahn-Anbindung ein städtebauliches Filetstück, das beste Voraussetzungen bietet, ein ganzes Quartier städtebaulich und nach den Grundsätzen des Neuen Europäischen Bauhauses neu zu gestalten“, sagt Christian Thieme. „Menschen werden hier, wo es jetzt noch viele Brachen gibt, leben und arbeiten, sich frei entfalten und die Stadt weiterentwickeln.“ 


ANGELIKA ANDRÄS-KAUTZ

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